Positionspapier „Operieren in der Schwangerschaft“
Das Junge Forum der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (JuFo) erhielt 2012 von der Fachgesellschaft den Auftrag, ein Positionspapier „Familie und Beruf“ zu erstellen. In Zusammenarbeit mit dem Perspektivforum Junge Chirurgie kristallisierte sich sehr schnell ein gemeinsamer Brennpunkt heraus:
Was die Chirurgie von anderen ärztlichen Disziplinen unterscheidet, ist die operative Tätigkeit!
Bereits mehr als 50 % der aktiv chirurgisch tätigen Weiterbildungsassistenten sind weiblich. Schwangere Ärztinnen in der Chirurgie sind also ein hochaktuelles Thema. Ihr Einsatz im OP-Saal scheitert allerdings meist an der unzeitgemäßen Auslegung der Gesetzestexte von 1952. Dabei schließen weder das Mutterschutzgesetz noch die Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz den Umgang mit schneidenden und stechenden Instrumenten und somit einen Einsatz im Operationssaal explizit aus. Seitens der Arbeitgeber finden sich erhebliche Unsicherheiten. Die größten Bedenken bestehen beim Einsatz von Narkosegasen sowie Röntgenstrahlen und bei dem Infektionsrisiko.
Seit Verabschiedung des Mutterschutzgesetzes hat die Medizin jedoch enorme Fortschritte erfahren und so stellt man sich die Frage, ob nicht bestimmte Regelungen des Mutterschutzes diesem Fortschritt angepasst werden müssen. Narkosegase können heute in den allermeisten Fällen durch intravenöse oder regionale Narkoseverfahren ersetzt werden. Laut Röntgenverordnung von 2002 ist der Einsatz von Schwangeren auch im Kontrollbereich möglich. Durch die Einführung stichsicherer Instrumente und den Anstieg minimalinvasiver sowie arthroskopischer Verfahren sinkt die Gefahr einer Nadelstichverletzung. Die aktuelle Literatur zeigt, dass bei einem adäquaten Immunstatus der Schwangeren und einem negativen präoperativen Screening der Patienten auf Hepatitis C und HIV bei elektiven Eingriffen das Infektionsrisiko auf ein medizinisch vertretbares Maß minimiert werden kann.
Das heute weit verbreitete Vorgehen, die Schwangerschaft so lange wie möglich geheim zu halten, um nicht auf dem „Abstellgleis“ geparkt zu werden, kann nicht die Lösung sein. Denn nur wer seine Schwangerschaft bekannt gibt, kann auch sinnvoll vom Mutterschutz profitieren. Es darf jedoch im Umkehrschluss nicht zu einem zwangsweisen Einsatz im OP-Saal kommen, d. h. die Ärztin muss frei entscheiden können, ob sie während ihrer Schwangerschaft ihrer operativen Tätigkeit weiter nachgehen möchte. Laut einer im Oktober 2014 veröffentlichten deutschlandweiten Erhebung unter Frauenärztinnen und Chirurginnen setzten 88 % der befragten Schwangeren aus eigener Motivation ihre operative Tätigkeit bis zur Bekanntgabe ihrer Schwangerschaft fort.
In Deutschland ist von einer Gesamtzahl von geschätzten 1.000 bis 1.500 schwangeren (Zahn-)Ärztinnen pro Jahr auszugehen. Das Thema bietet somit auch einen volkswirtschaftlichen Aspekt. Eine quantitative wirtschaftswissenschaftliche Analyse zur Vereinbarkeit von Familie und Karriere in der Chirurgie unter der klinischen Leitung von Dr. Julia Heinzmann läuft derzeit an der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Universität Homburg in Kooperation mit Prof. Dr. Ashok Kaul, dem Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftspolitik der Universität des Saarlandes. Mit ersten Ergebnissen ist 2015 zu rechnen.
Ziel des Positionspapiers „Operieren in der Schwangerschaft“ ist es nicht, die Errungenschaften des Mutterschutzgesetzes zu umgehen, sondern der mündigen schwangeren Chirurgin ein Mitbestimmungsrecht zu geben, um unter bestmöglichen Schutzmaßnahmen ihre operative Tätigkeit fortzusetzen.
Auf den folgenden Seiten ist sowohl für Arbeitgeber als auch für Schwangere die aktuelle Rechts- und Datenlage aufgeführt. Die entsprechende Literatur ist direkt abrufbar. Erste Positivlisten und Empfehlungen unterschiedlicher Fachbereiche liegen vor (siehe „Positivlisten / Empfehlungen anderer Fachgesellschaften“). Eine übersichtliche Checkliste (siehe „Checkliste OPidS: Schwanger – und nun?“) ermöglicht ein strukturiertes Vorgehen, genauso wie ein Musterbeispiel einer individuellen Gefährdungsbeurteilung (siehe „Individuelle Gefährdungsbeurteilung“).
Das Positionspapier stellt einen Meilenstein für alle zukünftigen Chirurginnen dar, die mit viel Ehrgeiz und persönlichem Engagement den Weg der Chirurgie beschritten haben. Es führt zu einem offeneren Umgang mit dem Thema Vereinbarkeit von Familie & Beruf und ermöglicht es, einen Knick in der beruflichen Karriere von Chirurginnen zu vermeiden
Das Projekt „OPidS“ wurde im Juni 2014 mit dem FamSurg-Sonderpreis ausgezeichnet. FamSurg ist ein Förderprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union (ESF).